Theatersplitter für andere Autoren von Helmut Schmidt

 

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„Autoren sollten DIE Stücke schreiben, die das Publikum von den Theatergruppen heutzutage sehen möchte.“ Aber woher weiß man, welche Themen das sein könnten? Was möchten die Zuschauer? Das Schreiben eines Stücks beginnt bei den Autoren immer mit der Grundidee. Sollten diese heutzutage auch trendy sein? Ist es sinnvoll, wenn Bühnen-Schriftsteller ihre frei erfundenen Geschichten dem Zeitgeschehen anpassen; sich auch darüber klar werden, welche Art von Unterhaltung den Bürgern außer eines kurzweiligen Theaterabends beschäftigt? Ich habe mir einige Gedanken darüber gemacht. Unterhaltung findet in erster Linie heutzutage im Fernsehen statt. Verkuppel-, Ekel-und Casting-Shows bei den Privat-Sendern haben jede Woche Millionen von Zuschauern. Deshalb fand ich es sehr naheliegend, die Sendung „Bauer sucht Frau“ 2008 endlich auf die Bühne zu bringen. Im Herbst 2008 habe ich dann die Komödie „Vier Hände für ein Euter“ geschrieben. Schon im Frühjahr 2009 haben 6 Theatergruppen diesen 3-Akter inszeniert. Bis heute waren es mehr als 100 Bühnen. Den Schwerpunkt habe ich in diesem Stück aber nicht auf die Liebeleien und Annäherungen zwischen verklemmtem Single-Bauern und Kandidatinnen gelegt, vielmehr mache ich durch die völlig überforderte Moderatorin in diesem Lustspiel den „Fernseh-Wahnsinn“ deutlich. Es ist also nicht übertrieben, wenn ich davon rede, dass diese Komödie bei den Gruppen sehr schnell eingeschlagen hat wie eine Bombe. Diese haben es für die Zuschauer inszeniert, und diese wiederum wurden köstlich unterhalten. Es gab zumindest ausschließlich positive Resonanz darauf. Weil sie das, was sie vom Fernsehen her schon mögen, nun auch noch live auf ihrer Heimatbühne sehen dürfen. Der TV-Unterhaltungs-Trend macht somit auch nicht halt vor neuen Bühnenstücken; und das ist auch gar nicht falsch. Zeit also für eine weitere Komödie, welches einer Casting-Show gleich kommt. „DSDS – Deutschland sucht den Supermann“. Im Mahnke-Verlag erhältlich.

 

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Viele Amateur– und Laientheatergruppen freuen sich immer, wenn der Autor des aktuellen Stückes, welches sie gerade aufführen – einer Einladung folgt und dieser sich die Inszenierung anschaut. Nachdem der letzte Vorhang gefallen ist, möchten die Akteure dann gerne wissen, ob das Werk so umgesetzt wurde, wie es sich der Autor gedacht hat. Für Bühnenschriftsteller ist es besonders interessant, wenn in einer Spielsaison; d.h. in wenigen Wochen auf verschiedenen Bühnen das gleiche Stück aufgeführt wird. Das ist mir schon sehr häufig passiert. Obwohl man bedenken sollte, dass alle Akteure jeder Gruppe das gleiche Rollenbuch erhalten haben, liegen manchmal Welten dazwischen, wie die Werke in Szene gesetzt werden. Vor einigen Jahren durfte ich einen meiner 3-Akter innerhalb 5 Wochen von 6 verschiedenen Theatergruppen sehen. Nun ist es ja die Aufgabe des Regisseurs dafür zu sorgen, dass jeder Spieler die Rolle so verkörpert, wie es vom Rollenbuch erwartet wird. Charakterzüge ergeben sich ja automatisch aus dem Dialog-Text. Bei manchen Laien-Theatergruppen legt man auf eine gute Regie oftmals weniger den Schwerpunkt, manchmal gibt es sogar niemanden für diese – sehr wichtige – Aufgabe. Dann gibt es wieder Akteure, die sich nichts sagen lassen und ihr Ding auf der Bühne so durchziehen, wie sie es für richtig halten. Es gibt immer wieder Akteure, die permanent Texthänger haben, ihre Rolle völlig überzogen spielen, sich immer wieder mit den Zuschauern unterhalten oder fortwährend ins Publikum schauen. Das ist grauenhaft, und ich muss das in jedem Jahr immer wieder von einigen Theatergruppen beobachten. Mir sind jedoch auch viele Gruppen bekannt, die es mit der gesamten Inszenierung ernst nehmen, auch wenn es sich nur um Laienschauspieler handelt, die täglich ihrer Arbeit nachgehen und das Theaterspiel nur einmal im Jahr zum Spaß praktizieren. Fakt ist: Jeder einzelne vom Publikum zahlt Eintritt. Und auch für nur 5,- Euro darf der Zuschauer eine gute Unterhaltung erwarten. Die Zeit und der Aufwand eines jeden Spielers auf der Bühne ist für das Einstudieren und spätere Aufführen eines Theaterstücks sowieso eine Voraussetzung. Dann sollte man auch das Beste geben und seine Rolle so spielen, wie sie angelegt ist. Vor allem sollte jede Gruppe einen „guten“ Regisseur haben und die Anweisungen von diesem auch befolgen. Ich durfte schon sehr viele Gruppen besuchen, die eine wirklich ordentliche Leistung auf die Bühne gebracht haben. Leider muss ich ab und zu aber auch richtig schlechte Inszenierungen sehen. Liebe Theatergruppen: Bemüht Euch bitte dem Publikum einen richtig „guten“ Theaterabend zu bieten.

 

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Beispiel 1: „Wir führen jedes Jahr nur Klassiker aus den 60ern auf; da weiß man, dass die Publikumswirksam sind und dass man damit nichts falsch macht. Unsere Zuschauer wissen das auch und erwarten solche Stücke von uns“. – Beispiel 2: „Wir sind jedes Jahr wieder auf der Suche nach neuen, zeitgemäßen Stücken und führen diese dann auf. Theater ist nichts Altes; und besonders wenn man in niederdeutscher Sprache aufführt, ist es wichtig das junge Publikum anzusprechen. Das ist mit Klassikern eh nicht möglich“.

Zwei Aussagen, die ich in den letzten Jahren von verschiedenen Theatergruppen oft hören durfte. Aber welche davon ist richtig? Gibt es hier überhaupt ein Richtig oder Falsch?

Ich möchte dazu folgendes sagen: Als ich 1989 mit dem Schreiben von Theaterstücken angefangen habe, war es nicht nur das Verfassen von Dialogen welches mich reizte; ich wollte etwas verändern in der Theaterwelt - nämlich die Gruppen endlich dazu bewegen, von den Klassikern los zu kommen. Es gab damals recht wenig neue zeitgemäße oder zeitlose Stücke, und die meisten Theatergruppen – besonders im Norden, dort wo ich wohne – mussten zwangsläufig auf die Klassiker zurückgreifen. Denn viele davon sind unumstritten publikumswirksam gewesen, und manche vielleicht sogar heute noch. Weshalb wird sonst jedes Jahr zu Silvester „Tratsch im Treppenhaus“ im NDR-Fernsehen gezeigt? Das ist Kult, es gehört zu diesem Tag im Jahr wie „Diner for one“, Sekt und Feuerwerk. Wir leben aber definitiv im Jahre 2019. Und unser täglicher Tagesablauf findet auch nicht in den 60ern statt. Warum drehen manche Theatergruppen dann auf der Bühne bei ihren Inszenierungen immer die Zeit zurück um 50 Jahre? Wollen sie uns ein Stück Erinnerung vermitteln? Eine bessere, weniger schnelle und laute Welt? Sollen die Zuschauer ein Stückchen Wehmut mit nach Hause nehmen, weil wir diese Zeit nicht mehr haben? – Unumstritten ist die Thematik von „Tratsch im Treppenhaus“ heute nicht mehr denkbar und würde sich SO nirgendwo mehr abspielen heutzutage. Die Charakterzüge der einzelnen Akteure in dem Stück sind jedoch auch heute noch überall zu finden. Weshalb muss man dann aber in die Zeit zurückspringen? Ich denke, Theatergruppen sollten in erster Linie moderne, zeitgemäße Stücke aufführen, die für jedes Alter geeignet sind, damit auch ein junges Publikum sich daran erfreuen darf. Und in diesen Werken spricht auch nichts gegen eine tratschende Bewohnerin (wie Heidi Kabel) oder einen etwas linkischen älteren Herrn Brummer (wie Henry Vahl). Wenn Theatergruppen jedoch ausschließlich Klassiker aufführen, werden eines Tages die Zuschauer ausbleiben, weil das Interesse an altbackenen Stücken nicht mehr gewünscht ist. Wenn jedoch zu einem 25jährigen Bühnenjubiläum dann doch mal wieder ein älteres Stück ausgegraben und inszeniert wird, dann ist dagegen auch nichts zu sagen. Das passiert dann ja aber auch nur viermal in einem Jahrhundert…? Ach übrigens: Wer Tratsch im Treppenhaus mal in der heutigen Version erleben möchte, der darf gerne mein Stück „Das Treppenhaus ist Zeuge“ – „Dat Trappenhuus is Tüüg“ - geschrieben im Jahr 2018 - aufführen.

 

 

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Um einem Irrtum vorzubeugen auf den man gelegentlich stößt: Auch ein Lustspiel ist ein Drama. Im Grunde ist es sehr einfach, Drama ist der Oberbegriff aller Bühnenwerke. Man unterscheidet erst in zweiter Ebene unter Tragödien und Komödien. Wenn wir uns mit dem Thema der dramatischen Entwicklung beschäftigen, so ist gleichwohl jede Form von Theaterspiel angesprochen.

 

Im Gegensatz zu einem Roman oder anderen literarischen Formen spielt sich das Leben in Dramen sichtbar ab. In Büchern werden Entwicklungen in Worten gefasst und nur durch Worte wird die Phantasie gefesselt. Auf der Bühne ist eine völlig andere Situation gegeben. Aus den vorgegebenen Worten, die selbst natürlich auch fesseln sollten entwickelt sich ein Spiel. Regisseure haben die Aufgaben diese Worte durch dramaturgische Einfälle zu untermauern. Zu dem Zweck muss die Struktur eines Werkes genau analysiert werden.

   

Wir wissen, jedes Werk nimmt einen bestimmten Lauf und entwickelt sich einem Höhepunkt entgegen. Dasselbe spielt sich innerhalb eines Aktes oder auch einer Szene ab. Wir können noch weiter ins Detail gehen, auch kurze Sequenzen haben eine Entwicklung, sei es als Nebenhandlung oder auch als kleiner Höhepunkt. Die Aufgabe von Regisseuren ist es, solche geeignete Teile herauszufiltern und ihnen Leben einzuhauchen. Das gelungene Resultat ist nichts anderes als eine Entwicklung dramatisiert und am Ende bleibt Spannung.  

 

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Eine dramatische Entwicklung hat immer einen klaren Beginn und ein Ende. Weder der Anfang noch das Ende darf in der Handlung untergehen. Findet die Entwicklung kein eindeutiges Ende, passiert folgendes: Die Zuschauer sind weiterhin konzentriert und voller Erwartung. Sie nehmen dadurch neue Geschehnisse und somit auch das Entstehen weiterer Entwicklungen nicht wahr. Das Ende soll also klar erkennbar sein. Soweit ein abschließendes Ende nicht mit dem Stück harmoniert, so darf am Schluss auch ein Fragezeichen stehen. Dieses Fragezeichen muss aber als solches wahrgenommen werden. Es ersetzt dann das Ende und kommt dem gleich.

 

Spielleitern empfehle ich mit zwei verschiedenen Textmarkern durch das Stück zu „wandern“ und alle Sequenzen mit abwechselnden Farben hervorzuheben. Mit einer Dritten Farbe bietet sich an, die Stellen anzustreichen, die Basis für die Gesamtentwicklung des  Stückes sind. Wenn nach dieser Arbeit das Manuskript noch in erheblichen Teilen weiß ist, sollte man sich fragen, ob das Stück wirklich bühnengeeignet ist. Wir unterstellen jetzt, man hat ein tolles Stück gefunden und auch viele  Stellen markiert. Schnell  wird man feststellen, dass doch immer wider mehrere Seiten auftauchen, die dramatisch nicht viel bieten, also weiß sind. Diese weißen Löcher sollte ein Regisseur genau studieren, denn dort setzt seine wirkliche Kunst an. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. „Man könnte dies oder jenes“ ausbauen, untermauern, eventuell auch kürzen oder mit dramatischen Mitteln unterstreichen und so nach und nach wird man feststellen, das gesamte Manuskript wird bunt. Nun  heißt es nur noch, das ganze umzusetzen.        

 

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Der Bühnenraum

 

Sowohl Requisiten, Licht, Raumebenen oder Formgebungen, selbst unbeteiligte Mitspieler können dramatische Entwicklungen unterstützen. Jede Veränderung auf der Bühne stößt auf Interesse und Neugierde. Stellen Sie sich einfach vor, ein Akteur, dessen Leben in Schieflage gerät, stellt plötzlich ein schiefes Glas auf den Tisch. Man kann so Stück für Stück das Innenleben einer Person in die Anschauung umsetzten und komische Szenen entwickeln. Erinnern Sie sich an die Fernsehsendung „Ein Herz und eine Seele“ ? Die vier Familienmitglieder waren so grund verschieden, verschiedener ist kaum denkbar. Das alles spiegelte sich in der Einrichtung. So wie sich die Personen dramatisch aneinander rieben, so rieben sich auch die Möbelstücke auf. Sie werden sich jetzt fragen, was hat das mit einer Entwicklung zu tun, eine Bühnenausstattung ist statisch. Diese Feststellung ist  grundsätzlich richtig, jedoch kann sich auch die Bühnenausstattung „entwickeln“, sich den Veränderungen anpassen und so die Entwicklung unterstreichen.

Eine ganz große Bedeutung fällt dem Licht zu. Kerzenlicht, eine Fackel, eine Taschenlampe erzeugen Spannung, ebenfalls Licht in unterschiedlichen Farben. Licht das sich verändert unterstreicht jede dramatische Entwicklung.  

Auch das Spiel mit Requisiten darf man nicht unterschätzen. Dabei spielt der Art des Gegenstandes und die Art wie er eingesetzt, bzw. mit ihm umgegangen wird, eine große Rolle.

 

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Darstellung von inhaltlichen Aussagen

 

Das Forcieren der Sprachtempi, das Anschwellen der Stimme, überhaupt der ganze Ausdruck der Stimme, auch der Stimmfärbung gehört zum elementaren Rüstzeug von Entwicklungen. Leseübungen vor den ersten Bühnenproben sind daher eminent wichtig. Spielleiter können sich schon zu dem Zeitpunkt mit dem vorhandenen Potential der Stimmen auseinandersetzen, Pointen üben, korrigieren, wiederholen lassen. Ein Flackern in der Stimme, eine spannungsgeladene  Pause, sind alles Dinge, die im Vorfeld geprobt werden können. Gerade die Pause als dramatisches Mittel wird oft verkannt. Schweigen erzeugt sehr oft mehr Spannung als ein Schwall toller Worte. Man muss den Zuschauer dabei aber in eine Erwartungshaltung versetzen. Erinnern wir uns an Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“: Ein Hauptakteur wartet in einer abgelegenen Stelle auf einen Bus. Es ist ein ödes Bild, nichts ist mit Musik untermalt. Es herrscht nur Stille. Die Sequenz, die sehr groß angelegt ist, lebt von Nichtigkeiten. Es passieren die alltäglichsten Dinge, doch jeder erwartet, jetzt „muss  etwas passieren“. Die Spannung wird dadurch geradezu aufgeheizt. Auch auf der Bühne sind solche Entwicklungen umsetzbar.  Gute Ergebnisse erzielt man auch durch das Gegenüberstellen von Ruhe und kraftvollem Auftreten.

 

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Musik

 

Musik spricht das Gefühl der Zuschauer direkt an und ist daher als zusätzliches dramatisches Mittel immer geeignet.

 

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Die Dauer dramatischer Entwicklungen

 

Wie mit vielem gibt es auch dabei keine Regel. Spannung in kurzer Zeit aufzubauen ist oft eine große Kunst. Ebenso schwierig ist es, Spannung über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Üblicherweise läuft eine dramatische Entwicklung innerhalb eines Zeitraumes von 5 bis 10 Minuten ab. Nicht einfach ist es, wenn eine dramatische Entwicklung von anderen Handlungen unterbrochen wird. In diesem Fall ist ein ständiger Neueinstieg und neuerlicher Aufbau der Spannung erforderlich. Es gibt Stücke, bei denen ist das kein Problem, und zwar wenn der Autor bereits ein „Sprungbrett“ bereithält. Leider ist das selten der Fall. Ich empfehle ansonsten ein „Erinnerungsmotiv“ zu entwerfen, also einen Art Slapstick, der die Gedanken wieder sortiert. Sehr gut ist auch die Wiederholung eines Vorgangs der die Erinnerung zurückruft. Die Zuschauer verbinden dann die Szenen gedanklich und erleben die Entwicklung in einem Zusammenhang.

Zieht sich eine dramatische Entwicklung über einen sehr langen Zeitraum, muss ein roter Faden inszeniert werden, der die Spannung hält. Nebenhandlungen dürfen sich um den Faden winden, er selbst muss aber als dominierendes Element erkennbar bleiben. Vielleicht darf man einen solchen Vorgang am ehesten mit einem Musikstück vergleichen. Die dramatische Entwicklung spielt sich im Grundbass ab, der sich immer drängender, intensiver und antreibend vorwärts drängt, egal was die Einzelstimmen zu sagen haben.  

 

 

 

 

 

 

 

 

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